Tierarztpraxis
Dr. Fenske

12. April 2020

Vogel gefunden – was nun?

Weil der Corona-Lockdown derzeit viele Menschen in die Natur zurückbringt, hier ein Blogbeitrag zum Thema: Wenn man beim Joggen oder Spazierengehen einen Vogel findet.

Endlich Frühling, die Sonne scheint und die Temperaturen steigen. Schon jetzt hört man das laute Betteln der kleinen Vogelküken, wenn man an einem Baum oder Busch vorbeigeht. Bald werden diese flügge und starten ihre ersten Flugversuche und Erkundungsausflüge. Während dieser Phase findet man die kleinen Ästlinge oft am Boden sitzend oder hüpfend. Was soll man mit so einem schutzlosen Vogel tun?

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Nestling, Amsel

Auf jeden Fall NICHT gleich einsammeln und zum nächsten Tierheim oder Tierarzt bringen.
Es ist normal, dass Jungvögel fliegen lernen müssen. Während dieser sog. Bettelflugperiode werden sie weiterhin von den Eltern versorgt,die meistens irgendwo in der Nähe nach Futter suchen.

Es gibt aber Situationen, in denen man junge Vögel nicht sich selbst überlassen sollte.

Dieser Blog soll eine kleinen Leitfaden geben und bei der Entscheidung helfen, ob und wenn ja, wie, man sich eines Jungvogels annehmen kann.

Zunächst sollte man den kleinen Vogel aus der Entfernung beobachten: Ist er voll befiedert oder hat er nur wenig Federn oder ist womöglich nackt?

 

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Vom Nestling zum Ästling, Buchfink Foto: G. Spenn

Nesthocker und Nestflüchter

Nesthocker sind direkt nach dem Schlupf nackt, blind und taub. Sie können keine Wärmeregulation betreiben und sind vollkommen unselbständig und auf ihre Eltern angewiesen. Man nennt sie auch Nestlinge. Aus einem Nestling wird irgendwann ein Ästling, der vollbefiedert, hörend und sehenden Auges, etwas unbeholfen die Welt erkunden möchte und schauen will, wozu seine Flügel so gut sind. Dabei landen diese dann auch mal auf dem Boden. Wo es selbstverständlich nicht ganz ungefährlich für sie ist!

Zu den Nesthockern gehören unsere Singvögel, aber auch Greife, Tauben, Krähenartige und Störche.

 

Nestflüchter – wie Enten, Gänse und Schwäne verlassen das Nest kurz nach dem Schlupf. Sie sind voll befiedert, können laufen, schwimmen, hören und sehen. Sie können sich selbständig Futter suchen.

Ein Zwischending sind die Platzhocker. Sie sind ebenfalls vollbefiedert, können sehen und hören, müssen aber von den Eltern gefüttert und gehudert (gewärmt) werden. Hierzu gehören die Möwen.

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Nestflüchter, Enten

 

 

Nestling gefunden

Einen nackten, ansonsten unversehrten Vogel setzt man am allerbesten zurück in sein Nest!

Es ist nicht wahr, dass einmal von Menschen angefasste Vögel nicht mehr von ihren Eltern angenommen werden.

Info: Vögel können nicht gut riechen und bemerken es womöglich nicht mal.
Aber sie können hervorragend sehen. Deshalb sollte die Ins-Nest-setz-Aktion möglichst ohne großes Tohuwabohu von statten gehen.

Falls das Nest nicht auffind- oder erreichbar ist, der Vogel krank oder verletzt scheint, sollte er in eine Auffangstation gebracht werden. Hier kann er – wenn’s gut läuft- mit anderen seiner Art aufwachsen, und weiß am Ende seiner Aufzucht, dass er ein Vogel ist und wird nicht völlig fehlgeprägt. Außerdem kennen sich die ehrenamtlichen Helfer dort meist sehr gut aus und können den Vogel fachkundig auswildern. Es ist nämlich nicht einfach und sehr zeitintensiv, ein Vogeljunges aufzuziehen.

Streng geschütze Arten – wie beispielsweise Greife und Eulen – müssen unbedingt in fachkundige Hände. Unter www.WISIA.de findet sich eine Liste der strenggeschützten Arten.

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Nestling Foto: G.Spenn

 

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Foto: G. Spenn

Ästling gefunden

Einen befiederten Vogel, der munter hin und her hüpft und ab und zu mal nach seinen Eltern ruft, sollte man lassen, wo er ist. Er wird versorgt.

Ausnahme: Er befindet sich an einem sehr gefährlichen Platz, wie in der Nähe von Straßen oder in der Nachbarschaft einer herumstreunenden Katze. Ästlinge verharren bei Gefahr starr am Boden und versuchen selten zu fliehen. Am besten, man setzt sie in ein nahe gelegenes Gebüsch, damit sie sich verstecken können. Allerdings sollte dieser Platz maximal 20 Meter vom Fundort entfernt sein, da seine Eltern ihn ja wiederfinden müssen. Bitte nicht zurück ins Nest! Da purzelt er nur baldmöglichst wieder heraus.

 

Tipp: Kinder rechtzeitig über den Umgang mit Ästlingen aufklären. Sie sind kein Spielzeug und sterben nicht selten aus Angst in der Hand.

 

Was aber, wenn man in seinem ersten tierschützerischen, gut gemeintem Übermut so einen kleinen Tropf eingesammelt hat und nach eifriger Internetrecherche feststellt, dass dies nicht nötig gewesen wäre?
Versuchen Sie den Vogel einfach zurückzubringen. Seine Eltern suchen bis zu 24 Stunden nach ihm. Wird er allerdings nach 2 Stunden immer noch nicht gefunden, sollten Sie ihn wieder mitnehmen.

 

Vogel gefunden – Zusammenfassung

Hier ein kleines selbstgemaltes Flussdiagramm. Macht sich gut an der Kühlschranktür oder am schwarzen Brett einer Schule (wenn die dann irgendwann mal wieder geöffnet sind).

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Flussdiagramm Vogel gefunden – Was nun?

Und auch als Pdf zum ausdrucken: vogel-gefunden-was-nun-schema

  • Einen nackten Vogel zurück ins Nest oder in eine Auffangstation.
  • Einen befiederten, gesunden Vogel lassen wo er ist oder an sicheren Platz in unmittelbarer Nähe setzen.
  • Große Ausnahme: Mauersegler und Schwalben brauchen IMMER Hilfe, wenn sie am Boden sitzen!
  • Wenn der Vogel krank oder verletzt ist, sollte er zu einem Tierarzt oder ins Tierheim gebracht werden.
  • Insbesondere bei Katzenbissen braucht der Vogel dringend ein Antibiotikum.

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Junge Mauersegler Foto: G. Spenn
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Schwalben Foto: G.Spenn
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Nestling Foto: G.Spenn

Notversorgung:

  • Der Vogel sollte in einen Karton, der mit einem Handtuch ausgepolstert wurde, gesetzt werden.
  • Er sollte warm gehalten werden (maximal 35°C). Am besten eignen sich warme (nicht heiße!) Wärmflaschen oder Körnerkissen. Super ist ein Snugglesafe. Die Wärme sollte von unten kommen.
  • Aufpassen, dass sich kein Hitzestau entwickelt!
  • VORSICHT: Beim Verdacht einer Kopfverletzungen muss man sehr vorsichtig mit Wärme sein.

 

Fütterung

Vögel haben eine enorm schnellen Stoffwechsel und dürfen deswegen nicht zu lange ohne Futter sein.
Allerdings sind viele der kursierenden Fütterungsempfehlungen nur teilweise mit der fragilen Jungvogelgesundheit zu vereinen.

Die absoluten Don’ts, was man also auf keinen Fall füttern sollte, sind hier aufgelistet:

Hunde- und Katzenfutter
Hackfleisch
Wurst
Milch
Zwieback, Brot
Haferflocken
Getrocknete Insekten
Eifutter
Eier
Regenwürmer

Ein artgerechter Futterbrei besteht aus:

Heimchen (ohne Flügel/Beine – kann man tiefgefrieren und dann schütteln)
Drohnenbrut (gibt es beim Imker).
Dem Brei sollten Mineralstoffe, Vitamine und vogelspezifische Laktobazillen zugesetzt werden.

Für eine optimale Ernährung ist die Kenntnis der Vogelart essentiell.
Auf der sehr guten Homepage der Wildvogelhilfe.org findet man viele Informationen zur Vogelbestimmung und deren fachkundiger Fütterung und Versorgung.

Info: Vorsicht bei der Gabe von Wasser! Am Zungengrund befindet sich der Luftröhreneingang. Es besteht die Gefahr, den Vogel bei unsachgemäßer Wassereingabe zu ertränken.
Nur die Schnabelspitze oder -seite mit ganz kleine Mengen Wasser oder Zuckerlösung  benetzen.

Ein großes Dankeschön für einige tolle Fotos geht an Gesine Spenn, die bald wieder unermüdlich mit der Jungvogelaufzucht beschäftigt sein wird.

 

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